Übersicht

A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Y Z

Sorgende Demokratie

In „Caring Democracy“ (2013) entwickelt Joan Tronto ihr Konzept einer sorgenden
Demokratie. Dieses Konzept erfordert, „dass die in ihrer jeweiligen Gesellschaft
lebenden Menschen einen genauen Blick darauf werfen, auf welche Weise
Sorgeverantwortung ungleich verteilt ist. […] Eine Neuorganisation dessen,
wie Sorgeverantwortung zugeteilt ist, macht es notwendig, dass diejenigen, die
mit ihr überbelastet sind, einige dieser Belastungen verweigern können und dass
diejenigen, die ihren Teil der Verantwortung nicht übernehmen, dies tun“ (Tronto
2016, S. 846).

Sorgende Gemeinschaften

Der Begriff der sorgenden Gemeinschaften ist mehrdeutig. Einerseits ist damit ein
informeller gegenseitiger Anspruch gemeint, der eine als Gemeinschaft definierte
soziale Gruppe bezeichnet, die füreinander verantwortlich sorgt und sorgsam
miteinander umgeht. Andererseits wird darunter ein konkretes institutionalisiertes
städteplanerisches Konzept verstanden, das Sorge zum Ziel und Leitprinzip
kommunaler Versorgung erhebt. Beiden Konnotationen liegt das Ziel einer
gerechteren Sorgekultur zugrunde (vgl. Vischer/Schneider/Dollsack 2022;
Hahmann 2022; Schürch/van Holten 2022).

Sorgendes Versorgen

„Mit dem sorgenden Versorgen wird eine Handlungsweise umrissen, die Voraussetzung
dafür ist, dass Menschen leben und gut leben können. Sie ist auf das
Ziel der Versorgung ausgerichtet und begreift die auf den Menschen gerichtete
(Für-)Sorge als Handlungsmotivation. Auf sorgendes Versorgen ausgerichtetes
Handeln ist verallgemeinerbar in dem Sinne, dass wir wollen können, dass jeder
Mensch so handelt, während das z. B. für nur am eigenen Nutzen orientiertes
oder gewinnmaximierendes Handeln nicht gilt. Denn alle Menschen sind darauf
angewiesen, dass andere Menschen sich nicht nur an den eigenen Interessen
orientieren, ansonsten wären Gesellschaften nicht überlebensfähig. Das richtige
Maß zwischen zu viel und zu wenig Sorge ist damit aber noch nicht festgelegt,
sondern erfordert Menschenkenntnis, Empathie ebenso wie Urteilsvermögen.“
(Knobloch 2019, S. 21).

Sorgeökonomie

Die Sorgeökonomie macht Umfang und Bedeutung der bezahlten und unbezahlten Sorgearbeit sichtbar und untersucht die Sorgetätigkeiten in allen Sektoren des Sorgediamanten auf mikro-, meso- und makroökonomischer Ebene. Auf individueller Ebene setzt sie sich mit den Sorgebedürfnissen der Sorgeempfangenden, aber auch der Sorgeleistenden auseinander, auf organisationaler Ebene mit dem Angebot und der Nachfrage bezahlter und unbezahlter Sorgearbeit und auf struktureller Ebene mit der Gestaltung (geschlechter)gerechter und zukunftsfähiger Sorgesysteme. Durch die systematische Verbindung von Erwerbswirtschaft und unbezahlter Versorgungswirtschaft lassen sich auch Verlagerungsprozesse von bezahlter und unbezahlter Sorgearbeit verdeutlichen (vgl. Knobloch 2010; siehe auch Monetarisierung und Entmonetarisierung). Mittlerweile sind eine Reihe sorgeökonomischer Ansätze entstanden, die sich grundlegend von den orthodoxen ökonomischen Ansätzen unterscheiden (vgl. z.B. Folbre 2001; Jochimsen 2003a; Power 2004; Madörin 2006; Knobloch 2013b; siehe auch Caring Economy und Vorsorgendes Wirtschaften).

Sorgerationalität

Eine eigene Rationalität des Sorgens hat Kari Wærness schon früh herausgearbeitet:
„the ability to care in a ‚proper‘ way, depends on something which can be
learned and for which there are rules for proceeding, and that therefore some
kind of rationality is involved“ (Wærness 1984, S. 195). Seither wurde der von
ihr entwickelte Begriff der Sorge- oder Fürsorgerationalität vielfach verwendet
und weiterentwickelt, um deutlich zu machen, dass Rationalität und das mit Sorge verbundene Verantwortungsgefühl nicht im Gegensatz zueinander stehen,
sondern dass mit Sorgetätigkeiten verschiedene, ganz eigene Rationalitäten
verbunden sind (vgl. Wærness 2000).

Sorgeregime

Als Sorgeregime wird die Art und Weise bezeichnet, wie Sorge in der Gesellschaft institutionalisiert ist, wie sie „in einer Gesellschaft und im Wohlfahrtsstaat wahrgenommen, verortet, organisiert und ins Verhältnis zur Erwerbsarbeit gesetzt wird“ (Beckmann 2008, S. 73). Alle Wohlfahrtsstaaten basieren auf einem oft impliziten Sorgeregime, das nicht nur die Wohlfahrts- und Sorgeleistungen des Staates, sondern auch die Leistungen aller anderen Akteur*innen umfasst (vgl. Lewis 1997, S. 10). Ein zentraler Fokus der Forschung im Rahmen des Konzepts liegt in der Analyse der Bedeutung der Muster für die Reproduktion der gesellschaftlichen Benachteiligung von Frauen im Vergleich zu Männern bzw. von Möglichkeiten einer positiven Veränderung. Selbst im 21. Jahrhundert basiert das Sorgeregime in der Regel immer noch „auf Geschlechterstereotypen (und reproduziert diese) und ist somit das Ergebnis der vorherrschenden Geschlechterordnung und seiner spezifischen Verkörperung in einem care-Regime“ (Beckmann 2008, S. 73 f.; siehe auch Aulenbacher/Riegraf/Theobald 2014; Aulenbacher/ Dammayr/Décieux 2014; Simonazzi 2009).

Sorgerevolution

Ausgehend von der kritisch-feministischen Analyse der Sorgekrise(n) bezeichnet
Sorgerevolution bzw. Care Revolution sowohl eine Zielrichtung als auch
eine Methode politischen Handelns. Dabei soll die Sorge ins Zentrum von
Wirtschaft(en) und Politik gestellt werden und somit die Verwirklichung von
Lebensbedingungen, die Lebensinteressen und Bedürfnisse befriedigen und
nicht Profitinteressen unterliegen, was ein radikales Umdenken bestehender
Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme erfordert. Somit wird Sorgerevolution
definiert als „Prozess einer an der Sorgearbeit ausgerichteten Transformation“
(Winker 2015, S. 139). Eine solche Sorgerevolution bleibt aber nicht auf die
Handlungsebene beschränkt, sondern setzt sich auf der politischen und gesellschaftlichen
Ebene fort: „The revolution in care institutions and practices that is
already underway requires no less than a companion revolution in political and
social institutions and practices“ (Tronto 2013, S. 6 f.).

Sorgesituation

Wie Maren A. Jochimsen in „Careful Economics“ (2003) schreibt, ist bei der
Betrachtung und Analyse von klassischen Sorgesituationen für von der Erbringung
der Sorgeleistungen existenziell abhängige Personen, wie z. B. Kinder, pflegebedürftige
ältere, kranke oder körperlich und geistig eingeschränkte Personen,
typischerweise von drei voneinander abhängigen Prämissen auszugehen: (a)
beschränkte bis gänzlich fehlende Handlungsfähigkeit der Sorgeempfangenden,
(b) asymmetrische Ausgangspositionen der beteiligten Personen in Bezug auf
die Fähigkeit, die benötigte Sorgeleistung auszuführen, und auf den Zugang zu
den dafür notwendigen Ressourcen, (c) daraus entstehende tatsächliche und
mögliche Abhängigkeiten und Machtverhältnisse. Klassische Sorgesituationen
sind in ihrem Kern folglich gekennzeichnet durch Asymmetrie. Die besonderen
Kennzeichen klassischer Sorgesituationen führen zu großen Herausforderungen
bei deren gesellschaftlicher Organisation (vgl. Jochimsen 2003a, S. 75 ff.).

Sorgestreiks

In den vergangenen Jahren wurde im Bereich der bezahlten Sorgearbeit, insbesondere
in Krankenhäusern gestreikt, um neben der besseren Entlohnung auch,
und das ist neuartig, Arbeitsbedingungen durch eine personelle Entlastung in
Tarifverträgen durchzusetzen. Sorgestreiks sind ein Teil der Sorgekämpfe und
werden sowohl gewerkschaftlich als auch zivilgesellschaftlich unterstützt. Im
Zuge der weltweiten feministischen Streikbewegungen (siehe z. B. Precarias a la
deriva 2014) ist zukünftig die Ausweitung von Sorgestreiks auf weitere Bereiche
der Sorgearbeit, einschließlich der unbezahlten Sorgearbeit, denkbar.

Sorgesystem

Als Sorgesystem wird der gesamte zu gestaltende institutionelle, politische und
gesellschaftliche Rahmen bezeichnet, innerhalb dessen bezahlte und unbezahlte Sorgearbeit geleistet und Sorgebedürfnisse befriedigt werden. Zur Strukturierung
der Sorgeleistungen in einem Sorgesystem ist der Sorgediamant
hilfreich. Dadurch wird sichtbar, dass Sorgearbeit in vier Sektoren (mit den
dazu gehörenden Institutionen) erbracht wird, im öffentlichen Sektor (Staat),
im Marktsektor (Unternehmen), im Dritten Sektor (Non-Profit-Organisationen),
im Haushaltssektor (private Haushalte) sowie auch in der Zivilgesellschaft,
wobei der überwiegende Teil der Sorgearbeit auch in modernen Wirtschafts- und
Gesellschaftssystemen in den privaten Haushalten erbracht wird (vgl. Knobloch 2020a, S. 115). In jedem Sorgesystem sind das Betreuungs- und das Pflegesystem
wesentliche Teile.