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Simonazzi

Simonazzi, Annamaria (2009): Care regimes and national employment models. In: Cambridge Journal of Economics 33, H. 2, S. 211–232.

Sorge

Menschen sind grundsätzlich und über den gesamten Verlauf ihres Lebens in unterschiedlicher Form und Intensität auf die Sorge anderer Menschen angewiesen. Sorge als Konzept geht von dieser Prämisse und Konstante menschlicher Existenz aus, wobei mehrere Dimensionen unterschieden werden, z. B. Sorge als moralischer Wert (Sorgeethik), als handelnde Praxis (Sorgearbeit, Sorgetätigkeiten), als Haltung und Einstellung (Sorgemotivation), im politischen Kontext (Care-Politiken, Caring Policies). Auch für heutige Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme ist Sorge unentbehrlich und wird dennoch zu wenig wertgeschätzt, häufig naturalisiert und in ihrer Bedeutung für einzelne Menschen sowie für ganze Gesellschaften und ihre Stabilität unterschätzt. Stärker als Care beinhaltet Caring bereits eine zukunftsweisende Vision, in der eine Sorgeorientierung im Sinne von Geschlechter-, Generationen- und Umweltgerechtigkeit angelegt ist und in denen die grundsätzlichen Stränge von Sorge, Reproduktion und Sorgeethik in ihrer notwendigen Verbindung mitlaufen.

Sorgearbeit

Um nicht zahlreiche im Wirtschaftsleben notwendige Leistungen unberücksichtigt zu lassen, tritt in der Sorgeökonomie an die Stelle eines rein an der Erwerbswirtschaft orientierten Arbeitsbegriffs ein erweiterter Arbeitsbegriff, der bezahlte und unbezahlte Arbeit umfasst. Unter Sorgearbeit, oder auch Sorgeleistungen, werden dann die gesamten bezahlten und unbezahlten Betreuungs- und Pflegeleistungen für Kinder, Kranke und Alte, die damit verbundenen indirekten Sorgeleistungen und weitere Unterstützungsleistungen (vgl. Razavi/Staab 2008), aber auch Sorgeleistungen für gesunde Erwachsene und die Selbstsorge gefasst (vgl. Knobloch 2013b, S. 11). In den Haushalten wird ein Großteil der Sorgearbeit unbezahlt geleistet, in den übrigen Sektoren (Markt-, Staats-, Non-Profit-Sektor) meist zu geringen Löhnen und in Teilzeit sowie unter oft schlechten Arbeitsbedingungen. Sorgearbeit stützt aber Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme selbst dort, wo sie unsichtbar bleibt.

Sorgebasierte Wissenschaftstheorie

Eine sorgebasierte Wissenschaftstheorie entwickelt Vrinda Dalmiya in ihrem Buch „Caring to Know“ (2016). Demnach stellen persönliche Sorgeerfahrungen als Sorgeleistende und Sorgeempfangende die erkenntnistheoretischen Grundlagen dar. Darüber hinaus geht es darum Wissen und Sorgen nicht künstlich voneinander zu trennen. Das Verständnis von Wissen umfasst demnach konkrete und subjektive Elemente, die androzentrisches Denken und Wissen von sich weisen. Zukünftig kann das im Sinne von Caring Sciences (siehe Kleinert 2022) weitergeführt werden.

Sorgebedarf, Sorgebedürfnisse

Unter Sorgebedarf wird der gesamte Umfang dessen verstanden, was an Sorgeleistungen für eine Gesellschaft, eine Gruppe oder einen einzelnen Menschen erforderlich ist. Als Sorgebedürfnisse werden die grundlegenden von den Menschen empfundenen Bedürfnisse bezeichnet, die sich aufs Sorgen und Versorgen beziehen. Sorgebedürfnisse müssen erfüllt werden, damit Menschen ein menschenwürdiges Leben führen können. Existenzielle Sorgebedürfnisse mögen in konkreten Fällen sehr umfangreich sein, aber sie sind weder endlos noch beliebig vermehrbar. Mit ihrer Erfüllung ist immer auch die Frage verbunden, wer dafür in einer Gesellschaft zuständig ist. In den meisten Gesellschaften ist die Erfüllung der Sorgebedürfnisse zutiefst vergeschlechtlicht.

Sorgebewegung

Unter den sozialen Bewegungen ist die Sorgebewegung noch neu, auch wenn sie schon vor mehr als 20 Jahren gefordert wurde: „We need a movement to demons- trate that caring is not a free resource, that caring is hard and skilled work, that it takes time and devotion, and that people who do it are making sacrifices“ (Stone 2000; siehe auch Engster 2010). Mittlerweile wurden Care-Manifeste verfasst, das Netzwerk Care Revolution gegründet, zu Streiks im Sorgebereich aufgerufen und vieles mehr. Das alles deutet darauf hin, „dass eine weltweite Sorgebewegung in Gang kommt, die das Ziel hat, auf Sorgedefizite und Sorgekrisen, die oft schlechten Arbeitsbedingungen, geringe Bezahlung und unzureichende soziale Absicherung aufmerksam zu machen und dringend notwendige Verbesserungen einzufordern“ (Knobloch 2020a, S. 116 f.). Ein wichtiger Teil dieser Sorgebewegung sind schon bestehende und neu entstehende Sorgenetzwerke, die durch eine Vernetzung untereinander nochmals mehr bewegen können (vgl. Knobloch/Kleinert/Jochimsen 2022). Die Sorgebewegung reagiert nicht nur auf die weltweiten Sorgekrise(n), sondern auch auf die ökologische Krise (vgl. z. B. Winker 2021; FdN 2022).

Sorgebeziehung

Über die effektive Ausführung von konkreten Sorgetätigkeiten wird zwischen Sorgeleistenden und Sorgeempfangenden eine Beziehung hergestellt. Aufgrund der in vielen Fällen vorliegenden existenziellen Abhängigkeit der Sorgeempfangenden von den Sorgetätigkeiten ist die Sorgebeziehung oft von Asymmetrie und wechselseitigen Abhängigkeiten geprägt (vgl. Jochimsen 2003a, S. 75 ff.).

Sorgedefizit

Von einem Sorgedefizit als „a lack of paid care (or affordable paid care) and a lack of or insufficient informal, unpaid, family care“ (Zimmerman/Litt/Bose 2006, 371) wird gesprochen, wenn der Bedarf an Sorgeleistungen nicht gedeckt wird und eine Mangelsituation eintritt, wenn also mehr Sorgearbeit benötigt als geleistet wird bzw. werden kann. Wenn Sorgedefizite nicht auf einzelne Haushalte beschränkt bleiben, sondern sich regional, national oder weltweit ausdehnen, entsteht eine Sorgekrise (vgl. Knobloch 2013a, S. 24).

Sorgediamant

Der Sorgediamant ist ein auf eine der Ecken gestelltes Viereck, mit dessen Hilfe die Angebotsstruktur im Sorgebereich und das gesellschaftliche Sorgeregime verdeutlicht werden kann (vgl. Razavi 2007, S. 21). Denn Sorgearbeit wird (mindestens) in folgenden vier Sektoren angeboten: öffentlicher Sektor (Staat), Marktsektor (gewinnorientierte Unternehmen), Non-Profit-Sektor (Non-Pro- fit-Organisationen) und Haushaltssektor (private Haushalte). Synonym wird auch von einem Vier-Sektoren-Modell gesprochen.