Ausgehend von der kritisch-feministischen Analyse der Sorgekrise(n) bezeichnet
Sorgerevolution bzw. Care Revolution sowohl eine Zielrichtung als auch
eine Methode politischen Handelns. Dabei soll die Sorge ins Zentrum von
Wirtschaft(en) und Politik gestellt werden und somit die Verwirklichung von
Lebensbedingungen, die Lebensinteressen und Bedürfnisse befriedigen und
nicht Profitinteressen unterliegen, was ein radikales Umdenken bestehender
Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme erfordert. Somit wird Sorgerevolution
definiert als „Prozess einer an der Sorgearbeit ausgerichteten Transformation“
(Winker 2015, S. 139). Eine solche Sorgerevolution bleibt aber nicht auf die
Handlungsebene beschränkt, sondern setzt sich auf der politischen und gesellschaftlichen
Ebene fort: „The revolution in care institutions and practices that is
already underway requires no less than a companion revolution in political and
social institutions and practices“ (Tronto 2013, S. 6 f.).
Übersicht
Sorgesituation
Wie Maren A. Jochimsen in „Careful Economics“ (2003) schreibt, ist bei der
Betrachtung und Analyse von klassischen Sorgesituationen für von der Erbringung
der Sorgeleistungen existenziell abhängige Personen, wie z. B. Kinder, pflegebedürftige
ältere, kranke oder körperlich und geistig eingeschränkte Personen,
typischerweise von drei voneinander abhängigen Prämissen auszugehen: (a)
beschränkte bis gänzlich fehlende Handlungsfähigkeit der Sorgeempfangenden,
(b) asymmetrische Ausgangspositionen der beteiligten Personen in Bezug auf
die Fähigkeit, die benötigte Sorgeleistung auszuführen, und auf den Zugang zu
den dafür notwendigen Ressourcen, (c) daraus entstehende tatsächliche und
mögliche Abhängigkeiten und Machtverhältnisse. Klassische Sorgesituationen
sind in ihrem Kern folglich gekennzeichnet durch Asymmetrie. Die besonderen
Kennzeichen klassischer Sorgesituationen führen zu großen Herausforderungen
bei deren gesellschaftlicher Organisation (vgl. Jochimsen 2003a, S. 75 ff.).
Sorgestreiks
In den vergangenen Jahren wurde im Bereich der bezahlten Sorgearbeit, insbesondere
in Krankenhäusern gestreikt, um neben der besseren Entlohnung auch,
und das ist neuartig, Arbeitsbedingungen durch eine personelle Entlastung in
Tarifverträgen durchzusetzen. Sorgestreiks sind ein Teil der Sorgekämpfe und
werden sowohl gewerkschaftlich als auch zivilgesellschaftlich unterstützt. Im
Zuge der weltweiten feministischen Streikbewegungen (siehe z. B. Precarias a la
deriva 2014) ist zukünftig die Ausweitung von Sorgestreiks auf weitere Bereiche
der Sorgearbeit, einschließlich der unbezahlten Sorgearbeit, denkbar.
Sorgesystem
Als Sorgesystem wird der gesamte zu gestaltende institutionelle, politische und
gesellschaftliche Rahmen bezeichnet, innerhalb dessen bezahlte und unbezahlte Sorgearbeit geleistet und Sorgebedürfnisse befriedigt werden. Zur Strukturierung
der Sorgeleistungen in einem Sorgesystem ist der Sorgediamant
hilfreich. Dadurch wird sichtbar, dass Sorgearbeit in vier Sektoren (mit den
dazu gehörenden Institutionen) erbracht wird, im öffentlichen Sektor (Staat),
im Marktsektor (Unternehmen), im Dritten Sektor (Non-Profit-Organisationen),
im Haushaltssektor (private Haushalte) sowie auch in der Zivilgesellschaft,
wobei der überwiegende Teil der Sorgearbeit auch in modernen Wirtschafts- und
Gesellschaftssystemen in den privaten Haushalten erbracht wird (vgl. Knobloch 2020a, S. 115). In jedem Sorgesystem sind das Betreuungs- und das Pflegesystem
wesentliche Teile.
Sorgetätigkeiten
Sorgetätigkeiten – synonym auch Sorgeaktivitäten oder Sorgepraktiken – umfassen alle Tätigkeiten des Sorgens und Versorgens, die zusammengefasst auch als Sorge- und Versorgungsarbeit bezeichnet werden. Sorgetätigkeiten werden in allen vier Sektoren des Sorgediamanten, insbesondere aber in den privaten Haushalten erbracht. Ihre Besonderheiten werden deutlich, wenn wir von Sorgetätigkeiten für kleine Kinder oder schwerkranke Menschen ausgehen. Sie sind gekennzeichnet durch eingeschränkte bzw. nicht vorhandene Handlungsfähigkeit und damit begrenzte Autonomie sowie durch die sich daraus ergebenden wechselseitigen Abhängigkeiten und Asymmetrien (vgl. Jochimsen 2003a). Bei der Bereitstellung von Sorgetätigkeiten werden zwei Bestandteile unterschieden: das instrumentelle Element, also die konkrete fachliche Tätigkeit, z. B. spezielle Handgriffe in der Pflege, und das kommunikative Element, also die ideelle Zuwendung, z. B. das Sprechen mit den Sorgeempfangenden, das – so die Annahme – wesentlich über die adäquate Sorgemotivation auf Seiten der Sorgeleistenden bestimmt wird. Erst beide Elemente zusammen sichern die Qualität von Sorgetätigkeiten und erzeugen die in der Fachliteratur als integratives Produkt bezeichnete soziale Dimension einer erfolgreichen Sorgeleistung (vgl. Jochimsen 2003b, S. 45).
Sorgetheorie
Die Sorgetheorie setzt sich auf konzeptioneller Ebene mit der sozialen Organisation
von Sorgesituationen und der Bereitstellung von Sorgetätigkeiten auseinander (vgl. Jochimsen 2003a; Madörin 2006; Engster 2007). Maren Jochimsen (2003a) bezeichnet ihren Entwurf einer Theorie der Sorgeökonomie als Zusammendenken von Sorgetheorie und Ökonomie als „Careful Economics“. Sie geht von der Bereitstellung existenzieller Sorgetätigkeiten aus, insbesondere für Kinder, ältere, kranke und behinderte Menschen, und arbeitet gegenseitige existenzielle, motivationale und materielle Abhängigkeit sowie Asymmetrie als spezifische Kennzeichen von Sorgesituationen heraus. Die Sorgetheorie steht auch vor der konzeptionellen Aufgabe, „to organize economic institutions and policies so that they provide all individuals with the real opportunity to care adequately for themselves, their loved ones, and human beings in general“ (Engster 2007, S. 118 f.).
Sorgetransformation(en)
Vor dem Hintergrund der globalen, nationalen, familiären und individuellen Sorgekrisen lenken Sorgetransformationen den Blick auf die für Caring Societies erforderlichen Transformationen der bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftsregime, insbesondere der Sorgeregime. Dabei sind Sorgetransformationen ein zentraler Teil der sozial-ökologischen Transformationen, die an den Kriterien Geschlechtergerechtigkeit und Sorgegerechtigkeit sowie Zukunftsfähigkeit orientiert sind. Die Sorgebewegung trägt zu diesen Sorgetransformationen bei, die zusammengenommen auch zu einer Sorgerevolution führen können.
Sorgeverantwortung
Sorgeverantwortung umfasst nicht nur die Übernahme von Sorgearbeit in
ihren verschiedenen Dimensionen, sondern auch die Planung und Organisation
der Versorgung mit allen erforderlichen Sorgeleistungen. Für Joan Tronto ist die
Verantwortung fürs Sorgen der Ausgangspunkt demokratischer Politik: „Was
innerhalb einer Demokratie gleichverteilt werden muss, ist die Sorgeverantwortung“
(Tronto 2016, S. 845; siehe auch Tronto 2013, 2017).
Sorgevertrag
Allen Gesellschaften liegt ein impliziter Sorgevertrag zugrunde, der ein Teil des
Gesellschaftsvertrags ist. Denn jede Gesellschaft ist darauf angewiesen, dass Menschen
– zumindest als Säuglinge und im Kindesalter – versorgt und erzogen werden.
Um den Sorgevertrag geschlechtergerecht und zukunftsfähig zu gestalten,
sind die geschlechtsspezifischen und weiteren intersektionalen Zuschreibungen
von Erziehungs-, Betreuungs- und Pflegeaufgaben zu überwinden.
Sorgsames Recht
Bezahlte und unbezahlte Sorgearbeit und Sorge allgemein werden in vielfacher
Hinsicht durch das Recht reguliert und konstruiert, u. a. durch Familienrecht,
Sozialrecht, Medizinrecht, Arbeitsrecht. Das Schaffen eines fürsorglichen
und sorgsamen Rechts, das die fragmentierten Perspektiven überwindet, trägt zu
einer Aufwertung und angemessenen Anerkennung von Sorge und Sorgearbeit
bei (vgl. Scheiwe 2020).